Sonntag, 14. September 2014

Die Lütticher Straße | Von der Schanz bis Jüdischen Friedhof | Teil 1

Was für eine Straße!? Ich habe sie schon immer gemocht! Seit etwa 10 Jahren nenne ich sie zärtlich meine Lü´ … Solange wohne ich bereits auf ihr.

Sie hat im Laufe der Jahrhunderte viel mit- und durchgemacht.

Die Geschichte der Lütticher Straße (als PDF-Dokument)

Ein ewiges hin und her von irgendwelchen Wandervölkern im Mittelalter, dann den Römern, danach Kaiser Karl mal mit, mal ohne Gefolge, später die deutschen Krieger des I. WK Richtung Belgien, noch später die Truppen des Österreichers mit dem seltsamen Bärtchen ebenfalls nach Belgien und jedes mal wieder raus geprügelt und geschlagen von verschiedenen Alliierten zurück über diese Straße …

Die Amis erbeuteten am 14. Oktober 1944 mehrere Wagons der Aachener Straßenbahnbetriebe, die sie in Aachen-ExpressV13 umbenannten.

An drei Stellen nahe der deutsch/belgischen Grenze packten sie diese mit von der Wehrmacht zurückgelassenen Flak-Granaten und eigenen Sprengsätzen voll und versuchten, die Wagons dann - mit Zeitzündern scharf gemacht - in die Stadt rollen zu lassen, wo sie detonieren sollten.

Der eine (Linie 13 vom Bismarkturm kommend) ist im Bereich Robert-Schuman-Straße Ecke Kalverbenden umgestürzt und explodiert, der zweite ist am Krugenofen aus der Bahn gekippt und nichts ist passiert und der dritte Wagon hat es auch nicht bis in die Stadt geschafft.

Das Teil kam von Höhe Waldschänke und ist an der Kreuzung Amsterdamer Ring/Lütticher Straße umgekippt und ziemlich unspektakulär still und leise liegen geblieben. Schwein gehabt …

Gut nachzulesen in dem Buch ´Die Amis sind da!´ von Charles Whiting und Wolfgang Trees.

Bis August 1958 war das Aachener Stadtzentrum durch die Straßenbahn-Linien 17 und 27 übrigens noch via der Lütticher Straße entlang Preusweg – Waldschänke - Bildchen mit Kelmis verbunden.

Der Herr Bimmermann von der St.Pauls-Apotheke in der Jakobstraße 9 ist ein profunder Kenner der Geschichte der Aachener Straßenbahn und hat zu diesem Thema einige Bilder, die er auf Anfrage gerne zeigt.

Ruhiger ist es zwar geworden was die Waffengänge betrifft und eine Tram rumpelt schon lange nicht mehr gen Kelmis aber abschnittsweise sehr lebhaft ist sie immer noch, - meine Lü´.



Eigentlich ist die Lütticher Straße in mehrere Lebhaftigkeits-Abschnitte unterteilt.

In Richtung Belgien beginnt sie am Kreuzungsbereich An der Schanz/Jakobstraße/Boxgraben gleich mit einer enigmatischen Skulptur, deren Herkunft und Sinn kaum jemand kennt.




Es ist die Kopie einer Meisterprüfungsarbeit eines bekannten Aachener Steinmetzbetriebs aus den Siebziger Jahren. Das Original steht in der Einfahrt zu deren Werkshof in der Viktoriastraße. Die Deutungshoheit zu diesem Werk überlasse ich der geneigten Leserschaft.

Vor ewigen Zeiten - als es noch keine Handys gab - hat in dem Eck, wo die Werbung von Süd-Optik steht, mal jemand versucht, eine Mitfahrzentrale zu etablieren.




Bis zum Jüdischen Friedhof ist dieser Abschnitt der Lütticher Straße zweifelsohne der quirligste Teil der Straße.

Während rechtsseitig von der Schanz kommend kaum ein Gebäude aus Vorkriegstagen vorzufinden ist, haben auf der linken Seite zum Jüdischen Friedhof hin etliche Häuser alle Wirren der vergangenen Jahrzehnte mit zwar z.T. deutlich sichtbarer Patina aber immerhin in Würde gealtert überstanden.



In den letzten Jahren ist das hiesige Geschäftsleben einem ständigen Wandel unterlegen und etliche Läden sind schon vor langer Zeit verschwunden.


Der Tabak- und Zeitungsladen auf der rechten Seite zwischen den beiden KFZ-Werkstätten Faensen und Schaffrath und Charlier, wo der freundliche und behinderte Sohn des Ladeninhabers Recker auf einem Hochtritt stehend, die Kunden zu ihrer vollen Zufriedenheit bediente, ist schon lange nicht mehr. Kaum einer erinnert sich noch an dieses Geschäft.

Heute befindet sich in diesen Ladenlokal neben der Luisen-Apotheke das Damenfriseurgeschäft Coiffure Momosa, wo die sehr freundliche Meisterin ihres Fachs, Frau Kuzu, für die Schönheit ihrer Kundinnen sorgt.


 
Vor wenigen Monaten sah es dort noch anders aus.

 
Vermutlich ein Anwohner hatte diese Figur vor vielen Jahren aus einem Baumstumpf geschnitzt als der Baum aus Gründen der Sicherheit gefällt werden musste. Später war an diesem Werk auch das Pilger-Siegel für die Wanderer des Jakobswegs angebracht.

Seit dem 11. Mai 2014 – drei Tage nachdem die umfangreichen und für die Anwohner und Geschäftswelt extrem belastenden Umbaumaßnahmen der Straße begannen – ist der "Baum-Mensch" verschwunden.

????? Wo ist das Teil ????


 
Schräg gegenüber von Frau Kuzu frisiert der Friseurmeister Kulak die Damen und Herren der Gegend schon seit vielen Jahren. Er ist auch einer der wenigen Geschäftsleute, die noch über vielfältige Erinnerungen zu diesem Straßenabschnitt verfügen.

Neben seinem Salon befindet sich eine ärztliche Gemeinschaftspraxis, die unter anderem auch eine  Gelbfieberimpfstelle beherbergt.


Vor einigen Monaten hat der türkische Obst- und Gemüsehändler neben dem NETTO-Markt dicht gemacht. Der hatte ein feines Angebot an frischem Obst und Gemüse aus aller Herren Länder und so manche kulinarischen Seltsamkeiten in seinem Angebot.

Die heute in den Räumen des früheren Gemüsehändlers befindliche Galerie öffnet ihre Türen vorübergehend nur noch auf telefonische Anfrage. Ich drück denen mal die Daumen, daß sie diese schwierigen Zeiten überstehen.


Die Bäckerei Oebel macht momentan nur noch Vormittags für ein paar Stunden auf, obwohl es deutlich sichtbar wieder aufwärts geht mit diesem rechten Teil der Straße. Aber viele Anwohner und Geschäftsleute haben noch eine lange Zeit eine schwere Durststrecke mit finanziellen Unwägbarkeiten vor sich. Ein Zeitungsartikel hierzu beschreibt die Lage:

Lütticher Straße: Baustelle sorgt für unterirdische Umsätze



Bis vor ungefähr elf Jahren hat in den Räumlichkeiten des heutigen Bäckerei-Filialisten Oebel nach die Handarbeits-Backstube Mannebach das Brot frisch gebacken.


Die Bäckerei Konditorei Cafe Mannebach | Ecke Hasselholzer Weg bietet seit 2003 etwa 500 Meter weiter in Richtung Belgien ihre schmackhaften Produkte feil und man kann bei denen ganz passabel drinnen oder draußen sitzen und ein paar Leckerchen zu einer guten Tasse Kaffee verzehren.



Das Haus mit der Nummer 28 beherbergt nicht nur den KFZ-Meisterbetrieb Faensen mit hoch qualifizierten und spezialisierten Fachkräften, sondern ist mit seinen 173 Jahren auch das anscheinend älteste und für mich unzweifelhaft schönste Gebäude auf diesem rechten Abschnitt der Straße bis zum Morillenhang gegenüber der Hotel-Pension Domicil.


Der sehr freundliche Chef kann durchaus das eine oder andere Ameröllche zu Geschichte der Straße beitragen.

Der Netto-Laden ist mir seit Jahrzehnten ein bisschen unheimlich.
Ganz früher noch arg eng und etwas düster in den Gängen und seit jeher von größtenteils unaufdringlichen ´haste-mal-nen-Euro´-Mitmenschen mit Hunden eingerahmt, hat sich das innere der Räumlichkeiten mittlerweile etwas erhellt.




Nur eins bekommen die nicht in den Griff. Geht man mit seinem Einkaufswagen von den hinteren Bereichen in Richtung Kasse, muss man ab etwa der Gemüsetische seinen Wagen irgendwie!!! festhalten, ansonsten dieser sich wegen einer physikalisch deutlich spürbaren Neigung zum Ausgang hin in Bewegung setzt, und sonst wohin zu rollen droht.
Ich habe noch nirgendwo einen anderen Discounter erlebt, wo die Kunden derart sichtlich bemüht sind, mit ihrem Po oder Bauch, manchmal mit der Hüfte oder dem linken oder rechten Bein ihren Wagen zu fixieren und dabei die Ware auf das Band legen.
Richtig „lustig“ wird es bei gebrechlichen Kundinnen und Kunden (es gibt einige Senioren-Residenzen im Nahbereich) oder wenn anwesendes Kindsvolk ihrer Mama oder dem Papa auf den Senkel gehen ...

Hat allerdings - Zeit, Muße und intriganten Humor vorausgesetzt - auch einen unverhohlen hohen Unterhaltungswert.

Seit Ende Mai diesen Jahres wird Penny in Rufweite direkt visavis mit einem nicht zu unterschätzenden Gegenspieler konfrontiert.


Der alte Luftschutzbunker auf der linken Straßenseite hat sich zu einem wahren Schmuckstück entwickelt, daß nach meinem Empfinden ein hohes Aufwertungmerkmal für die Lütticher Straße bedeuten könnte. Für mich erstaunlicherweise, kennt man doch in Aachen seit geraumer Zeit, unter Federführung einer gewissen Dezernentin, ganz andere bauliche Schandflecken. 
 
Vom hässlichen Entlein …


… zum schönen Schwan.


Mir gefällt es und den REWE-Frischebunker der Familie Reinartz nutze ich für die Befriedigung meiner zeitweise exquisiten Konsum-Gelüste.


Die aufs Dach gesetzten Buden sind noch im Angebot.

 
 Da hört es dann aber mit meiner exquisiten Konsumgelüste-Befriedigung auch schon auf.

Der alte Bunker! Überhaupt! Die Öcher Bunker … Auch so ein Lieblingsthema von mir. Könnte Seiten darüber schreiben, mit hunderten von graffiti-schwangeren Bildern dazu. Alles dabei! Paier, Stör … ich schweife ab … Vielleicht ein anderes mal.



Wie weiter oben schon erwähnt, hat es auf der linken Seite zwischen Schanz und Jüdischer Friedhof noch etliche schöne und alte Gebäude.


Vor geraumer Zeit hab ich im WDR-Archiv des analogen Alltags mal ein Photo aus der Zeit um 1936 im Netz entdeckt, daß ich hier nicht vorenthalten möchte. Hier klicken.

Viele dieser Häuser auf dem Bild haben den II. Weltkrieg entweder relativ unbeschadet überstanden oder wurden recht erfolgreich restauriert.

Mein Lieblings-Objekt ist das Gebäude mit der Nummer 25 auf der Seite des Jüdischen Friedhofs direkt links von der Hotel-Pension Domicil.


  Direkt vor dem ersten Kellerfenster links neben der Toreinfahrt ist auch noch so ein Relikt aus dem II. WK zu entdecken. Ein Notausstieg aus den Luftschutzräumen des Hauses von Mannesmann in guter deutscher Wertarbeit hergestellt.

 
Schon 1988 hatte ich diese Einfahrt photographiert.


Ich glaube, mich erinnern zu können, daß die ewigen Korinthenkacker aus den Öcher Ratstuben deswegen wieder mal rum am kacken waren.

Ich würde zu gerne mal im inneren des Hauses ein wenig stöbern.

Es wurde augenscheinlich 1876 errichtet, wie man diesem Stein entnehmen kann, der sich an der hofseitigen Wand der Durchfahrt befindet.

 
Der Hof ist ziemlich unspektakulär, strahlt aber eine tiefe Ruhe aus. An der einen Seite des Hofweges befinden sich alte Garagen vor denen reichlich Gras wächst und auf der anderen Seite des Weges wuchert ziemlich wild eine ungezähmte Natur.


 
Direkt rechts neben dem Haus mit der Nummer 25 befinden sich die wohl angenehmsten Unterkünfte für Reisende und Gäste der Stadt. Auch viele Freunde, Bekannte und Verwandte von mir bestätigen dies immer wieder.

Die Pension Domicil in der Lütticher Straße 29 und das Residenz Hotel Domicil  in der Nummer 27. Es werden auch Gartenstudios und komfortable Appartements angeboten.

 
Ein sehr wohlgefälliges Ambiente, Zuvorkommenheit im Service und eine grandiose Aussicht in alle Richtung von den Obergeschossen ist obligatorisch. Wie sich die beiden Aufbauten auf dem Bunker hinsichtlich der Sichtachse in Richtung Aachener Zentrum bemerkbar machen, muss ich demnächst mal wieder testen.



Und schon wieder ein Rätsel?  Wer kennt die Bedeutung dieser Zeichen?

  


Benzin und Super waren - soweit ich mich erinnere - damals dort wirklich günstig gewesen.

Von der ehemaligen Tankstelle auf der linken Seite – dort wo jetzt das Haus mit der Nummer 35 steht – ist noch ein schmaler Streifen der früheren Mauer mit etwas Reklame zu erkennen.

 
 
Der Betreiber dieser freien Tankstelle hatte einen französisch klingenden Namen, so wie ´Montraix´ oder ´Montreu´ und unterhielt am Grünen Weg und einer dritten Niederlassung weitere Tankstellen.



Es gibt keinerlei Spuren hierzu im Internet. Schade! Hat wer was?


So! Langsam bin ich am Jüdischen Friedhof an der Ecke Körnerstraße angelangt. Kann man sich ruhig einmal anschauen kann, wenn man in der Gegend ist. 

 
Wie schon weiter oben gesagt, - die ersten zarten Anzeichen eines geschäftlichen Wiedererwachens – vor allem dann, wenn auch nur ein klitzekleines bisschen die Sonne scheint - sind nicht zu übersehen.



Das Bistro-Restaurant Myra strahlt einen geradezu kämpferischen Optimismus aus. Gefällt mir absolut …


 
Ganz lecker ist es beim Chef Mehmet Artar natürlich auch. Ich kenne Leute, die aus Pontsheide bei Oberforstbach am Arsch der Welt extra angereist kommen, um hier zu essen.

Also! Kommt, esst und fühlt Euch eingeladen, auch wenn der Rote Teppich auf dieser Seite der Straße inzwischen eingerollt ist.


Bei Südviertel-Augenoptik erfährt man einen Service am Kunden, der seinesgleichen sucht in Aachen.



Ich hab dort noch nie was in Sachen Brille in Auftrag gegeben, bin aber immer aller bestens bedient worden.



Und nun – zum Abschluss meiner Eloge an diesen Straßenabschnitt - mein allerschönstes Bild der letzten Wochen.
An einem schnöden Donnerstag dem 11. September 2014 um 12:35 Uhr bei angenehmer Temperatur und schüchtern-schmusigen Sonnenstrahlen …




Wenn das kein freudig-optimistisches Zeichen ist … ! 

Naturtextilien jarula auf der Lütticher Straße 32.

Müssen durchwachsene Zeiten gewesen sein die letzten Wochen, wenn ich mir die Fotostrecke auf Facebook so anschaue … :-).

Es geht wieder aufwärts und über die Bedeutung der schwarzen Pflasterung an der Hauswand sag ich mal nichts. Die kennen eh nur Blinde mit ´nem Krückstock … :-)

Dies war nur ein kleiner Ausschnitt über das vielfältigen Treiben auf diesem Abschnitt der Straße. Es gibt noch so viele große und kleine Geschäfte und Betriebe, die ich hier nicht genannt habe, denen ich aber dafür danke, daß sie diese Straße am Leben erhalten.

Ihnen Allen alles Gute für die Zukunft.

Ein Blick zurück in Richtung Schanz …




 
… und in der Hoffnung, daß die Arbeiten auf der anderen Straßenseite zügig und problemlos vonstatten gehen.

Dann fängt der ganze Hantier allerdings auf dem zweiten Abschnitt zwischen Limburger- und Körnerstraße und Amsterdamer Ring an.

Weil das mit meiner Liebeserklärung an meine Lü´ nun wohl doch anscheinend eine längere Geschichte wird, mach ich das in mehrere Teile, sonst sind die mit der Straße eher fertig, als ich mit meinem Text.

Nee, nee – war nur Quatsch, - wir wissen ja, wie hier in Aachen die Uhren der öffentlichen Verwaltung schon mal ticken können, was Bauverzögerungen betrifft ...

Die Lütticher Straße | Vom Jüdischen Friedhof zum Amsterdamer Ring | Der 2. Teil 


folgt in Bälde.
 

Der Tano

1 Kommentar:

  1. Ob man das so stehen lassen kann, fragst Du? u.a. mich? Den eloquentesten Kulturkritiker nach M.R. Ranicki, der unlängst verstarb? Antwort: Na klar kann das so stehen gelassen werden.

    Na gut, es gibt Liebeserklärungen für Strassen, die ungleich mehr im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Drauf geschissen, sag ich. Du dokumentierst deine Zuneigung für eine Strasse, die weit davon entfernt ist ein Magnet für, mit Rollkoffer und Smartphone bestückte, Pauschaltouristen zu sein.

    Die Lü´ist in erster Linie eine Ausfall-Strasse, also eine Strasse durch die man Aachen entweder verlässt, oder ankommt. Dadurch ist sie tagsüber ziemlich befahren. Es ist keine "Spielstrasse" für Montesorrie- Geschädigte Öko-Bälger, trotz entsprechender Einrichtung in Richtung Belgien (Hochgrundhaus?).

    Auf den Bildern gut zu erkennen: Der Mittelstand kommt zurück, und ganz harte blieben sogar da, trotz erheblicher Bauarbeiten.

    Ich bin gespannt, was Du Interessantes aus dem Strassenabschnitt zeigen wirst, in dem Du wohnst. Meiner Erinnerung nach, gibt es dort nichts was einen vom Hocker haut. Aber das sieht jeder mit seinen Augen anders.

    Mal schauen... chris°

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